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Jochen Hörisch-ein Ketzer
Interview Stuttgarter Zeitung 14.10.2008:

Ein Ketzer, wer nicht an den freien Markt glaubt

Der Germanist Jochen Hörisch über Gott, Geld und VWL
 

"Nach Sex ist Geld das häufigste Thema der Literatur", sagt Jochen Hörisch. Und weil er viel gelesen hat, sieht er auch die Finanzkrise mit anderen Augen: Neoliberale Politiker glauben an ihre Lehre, als wäre sie gottgegeben, behauptet er im Gespräch mit Roland Müller.

Herr Hörisch, Sie sind Literaturwissenschaftler, beschäftigen sich aber seit mehr als zwanzig Jahren auch mit Volkswirtschaft. Weshalb?

Aus einem Grund, der zunächst äußerlich erscheinen mag: ökonomische, speziell monetäre Probleme sind ein hervorragendes Thema der Literatur. Denken Sie an Shakespeares "Kaufmann von Venedig", wo der Titelheld einen Kredit beim Juden Shylock aufnimmt; an Goethes "Faust", wo der Titelheld unter Mithilfe von Mephisto das Papiergeld erfindet; an die "Buddenbrooks" von Thomas Mann, wo die titelgebende Kaufmannsfamillie immer mit Geschäften zu tun hat. Ich könnte da eine lange Liste aufmachen: Nach Sex ist Geld das am häufigsten anzutreffende Thema der Literatur.

Aber sehen Sie, jenseits aller Äußerlichkeiten, auch einen inneren Zusammenhang zwischen Volkswirtschaft und Literatur?

Die Kollegen von der Volkswirtschaft werden jetzt die Köpfe schütteln, aber ich vertrete allen Ernstes die These: Auch wenn die Dichter nichts Ökonomisches studiert haben, sehen sie ökonomische Problemlagen deutlich besser als die jeweiligen Fachleute. Dichter blicken von außen aufs brodelnde Zentrum und kommen so zu Einsichten, zu denen einer, der nur rechnet und Algorithmen aufmacht, nie käme. Wohin Betriebsblindheit führt, das zeigt die aktuelle Finanzkrise ja in aller Drastik.

Und welchen Dichter legen Sie uns als Krisenmanager ans Herz?

Sie werden lachen: Goethe selbst! "Faust II"! Da stoßen Sie in Reinform auf unser Thema: eine Bankenkrise schlimmsten Ausmaßes, der Staat bricht zusammen, die Leute murren und halten sich nicht mehr an Verträge. Und dann legen Faust und Mephisto ein Hilfsprogramm auf, wobei der Letztere deutliche Charakterzüge von Adam Smith trägt . . .

Jetzt wird"s abenteurlich . . .

Nein, das ist eine haltbare These.

Legen Sie los!

Wenn Mephisto sagt: "Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft", dann beschreibt er die Theorie von Adam Smith, des Begründers der Volkswirtschaftslehre. "Private vices become public benefits", behauptet Smith; persönliche Schwächen, also Egoismus, Gewinnstreben, Gier, sorgen für den öffentlichen Nutzen. Da ist was dran, so funktioniert der Kapitalismus, wenn er denn funktioniert. Aber dann folgt schon Fausts Einwand, den man ebenfalls in die Begriffswelt von Adam Smith übertragen kann: Wie weit reicht denn die Kraft der invisible hand, der unsichtbaren Hand, die den Markt steuert? Eben. Schon Goethe hat sich das im "Faust" gefragt.

Und wie schärfen die Dichter nun unser Verständnis der aktuellen Krise?

Ich bleibe bei Goethe. Er lässt Faust mit Blick auf das von ihm erfundene Papiergeld sagen: "In diesem Zeichen wird nun jeder selig." Das ist eine Anspielung auf Konstantin, der im 4. Jahrhundert nach Christus erklärte: "In hoc signo vinces", in diesem Zeichen wirst du siegen. Der Kaiser sprach aber vom Zeichen Gottes, nicht vom Zeichen des Geldes. Die Neuzeit wechselt also von einer Gott- zu einer Geldorientierung, behält aber die religiösen Fundamente bei.

Begrifflich gibt"s schon Gemeinsamkeiten: Schuldner und Gläubiger . . .

. . . und Offenbarung und Offenbarungseid, die Erlösung und der Erlös, der Lobpreis Gottes und der Warenpreis. Und dann fahre ich in diesen Tagen zur Messe und meine nicht das Hochamt, sondern die Frankfurter Buchmesse - in der Geldsphäre stecken unheimlich viele theologische Begriffe! Und jetzt kommt mein Punkt: Sie können sich heute erlauben, an der Existenz Gottes zu zweifeln, ohne auf dem Scheiterhaufen zu landen. Sie können sich in neoliberalen Kreisen aber nicht erlauben, an der "unsichtbaren Hand" des Marktes zu zweifeln. Dann gelten Sie als Satanist. Trotzdem frage ich mit Goethe: Könnte die unsichtbare Hand, die uns regieret, nicht auch deshalb unsichtbar sein, weil es sie einfach nicht gibt?

Eine ketzerische Ansicht, die in den vergangenen Tagen und Wochen allerdings neue Anhänger gefunden haben könnte . . .

Ich weiß. Selbst Leute, die seit Jahren der Deregulierung das Wort reden, schlagen sich jetzt im Nu auf diese Seite . . . Man muss diese, sagen wir, Beweglichkeit auch psychologisch sehen. Volkswirtschaftler, Manager, Politiker lagen prognostisch völlig falsch. Sich das aber jetzt einzugestehen fällt eitlen Männern sehr schwer - umso schwerer, als es seit Jahren auch schon andere gegeben hat, die vorm ungezügelten Treiben der Finanzmärkte gewarnt haben. Etwa der Multimilliardär Soros oder unser Altbundeskanzler Schmidt, beileibe keine wildgewordenen Sozis - die herrschende volkswirtschaftliche Lehre ist mit solchen Leuten aber tatsächlich umgegangen wie die katholische Kirche mit Ketzern, etwa mit Luther, Calvin, Zwingli.

Ich vermute nicht, dass den Volkswirten die von Ihnen unterstellte Kirchenzugehörigkeit klar war.

Nein, diesen Kirchenverdacht hätten die Ökonomen weit von sich gewiesen. Aber sie bilden eine Kirche: Man muss dran glauben - jetzt auch im übertragenen Sinn, denn manche Banken gibt"s ja nicht mehr . . . Wie stark das Feld der Hochfinanz theologisch durchdrungen ist, wollen die Volkswirtschaftler nicht wissen. Sie predigen immer nur die rational choice, also die Behauptung, dass sich Marktteilnehmer vernünftig verhalten und sich dieses Verhalten auch berechnen lässt. Aber keiner verhält sich im Augenblick vernünftig. Ich bin Wissenschaftler an einer ökonomisch ausgerichteten Universität, der Uni Mannheim - und sehe jetzt, was passiert, wenn so ein Paradigma plötzlich wegbricht.

Wie kommen Sie denn mit Ihren Kollegen von der Wirtschaftsfakultät zurecht?

Sehr gut, Gott sei Dank. Es sind witzige, gebildete Kollegen. Nur manchmal wird"s etwas gereizt, denn ich bin natürlich ein volkswirtschaftlicher Dilettant, der nie und nimmer den Anspruch erheben würde, ökonomische Schlüsselzahlen besser berechnen zu können als die Experten . . . Ich spiele mit ihnen lediglich das Spiel der Geistes- und Kulturwissenschaften. Das lautet: Ich sehe was, was du nicht siehst. Die helleren Volkswirte verstehen, achten und schätzen das.

Auch wir setzen das schöne Spiel fort. Wie stark ist denn der Glaube an die "unsichtbare Hand" bei Volkswirtschaftlern, die nicht ganz so helle sind?

So stark wie bei Kommunisten, die bereit sind, für ihre Ideologie den Opfertod zu sterben! Dort sehen wir die Verblendung und kritisieren sie. Dass aber viele neoliberale Kapitalisten im Finanzsektor mindestens so glaubensbereit sind wie Kommunisten, sehen wir nicht.

Es gibt ja auch einen Unterschied. Der Kommunist ist ein Märtyrer, der Kapitalist nicht. Er achtet darauf, dass andere seine Ideologie ausbaden.

Wenn man die Leute, die jetzt die Banken verstaatlichen wollen, fragen würde: Warum denn jetzt? Wollen wir nicht etwas warten, bis die Institute wieder Geld verdienen? - also, wenn man das fragen würde, ginge ein Aufschrei durchs Land! Undenkbar! Profite verstaatlichen! Dass aber ausgerechnet jetzt die Wortführer entregulierter Märkte nach Regulierung durch den Staat rufen, ist eine Peinlichkeit sondergleichen. Freilich gehört nicht viel Prophetie dazu, um zu sagen, dass genau diese Leute den Schwarzen Peter bald wieder dem Staat zuschieben werden: Nur weil er interveniert habe, sei es zur Krise gekommen . . . Dann führen Sie wieder ihre Kreuzzüge von gestern.

Und wer, außer Goethe, könnte den Kreuzzüglern noch Paroli bieten? Der hl. Marx?

Marx hat im "Kapital" mit dämonischer Sicherheit die Finger in die Wunde gelegt. Und die Wunde des Kapitalismus ist seine Krisenanfälligkeit. Insofern lohnt die Lektüre auch heute noch - allerdings nur zur Analyse der Krise, nicht zu ihrer Bewältigung: Es gibt keine Wissenschaft, die heute ernsthaft auf Methoden zurückgreifen würde, die vor 150 Jahren entwickelt wurden. Marx lesen allemal, aber nicht dran glauben . . . Meine Hoffnung geht in eine andere Richtung.

Und die wäre?

Als im Jahr 1755 ein Erdbeben Lissabon zerstörte, war das ein Ereignis, das die Theologie in eine Krise stürzte. Man hat gefragt: Wenn Gott gerecht und allmächtig ist, wie kann er dann diese Katastrophe zulassen? Jetzt haben wir das Beben auf den Finanzmärkten. Und heute stellt sich auch der VWL genau jene Frage, die von Fachleuten die Theodizee-Frage genannt wird: Wie kann die gerechte und allmächtige "unsichtbare Hand", die den freien Markt regiert, die Vernichtung unzähliger Existenzen zulassen? Meine freche These: die Volkswirtschaft steht heute dort, wo die Theologie schon vor 250 Jahren stand. Sie hat noch viel zu tun.
 

14.10.2008 - aktualisiert: 14.10.2008 05:12 Uhr

 

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Predigt Pfullingen 16.10.2011

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Bei einer Veranstaltung für ältere Menschen in einer Schwarzwaldgemeinde waren auch die beiden Pfarrer des Dorfes anwesend. In der Pause fragte der Entertainer den katholischen Geistlichen, warum die Kirche sich moralisch fast ausschließlich auf den §218 konzentriere und zum Beispiel zur Lüge, die sich auch verheerend auswirke, nichts sage. Der Pfarrer stutzte eine Sekunde und erwiderte dann: "Gegen die Lüge kann man nichts machen, darauf beruht unser ganzes System." Napf erschrak über die Offenheit, da das Programm aber weiterging, konnte er nicht einmal fragen, welches System der Geistliche gemeint habe, das weltliche oder das religiöse oder gar beide.
Gefunden bei Karl Napf: (http://karlnapf.net/)



„Wo nicht der Mensch, sondern das zinstragende Kapital der Gegenstand ist, dessen Erhaltung und Mehrung der Sinn und das Ziel der politischen Ordnung ist, da ist der Automatismus schon im Gang, der eines Tages die Menschen zum Töten und Getötetwerden auf die Jagd schicken wird.“ (Karl Barth, Die kirchliche Dogmatik Band III/4, Zürich 1951, S. 525.)
 
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