Predigt am Sonntag Rogate, 9. Mai 2010 in Alteburg
„Und verschone uns mit Feuer, Missernte und Heuschreckenschwärmen“, beteten die Farmer am Sonntag Morgen. Zu gleicher Zeit hielten die Heuschrecken einen Bittgottesdienst ab, in welchem es hiess: „Und schlage den Feind mit Blindheit, auf dass wir in Ruhe seine Felder abnagen können.“
Das Dilemma Gottes, eine Szenerie, die deutlich macht wie sehr ein egoistisches Verständnis des Betens das Ziel verfehlt.
Der wunderbare Erzähler Wolfdietrich Schnurre hat den 2. Weltkrieg miterlebt. Vielleicht auch solche Szenen, von denen mein Großvater, der als Soldat auf dem Schlachtfeld von Verdun war erzählt hat: Wie es am Sonntag vereinbarte Waffenruhe gab zwischen den erbitterten Gefechten und sie im Schützengraben die Choräle der Franzosen hören konnten und dann ihre deutschen dazu – und auch dagegen - gesungen haben. Gottesdienst, christlicher Gottesdienst hier und da, bevor die erbitterten Gefechte wieder aufgenommen wurden. Die schwierige Lage Gottes. Menschen beten und das heißt immer auch sie bitten für sich und ihre Ziele. Gott mit uns stand auf jenen Koppelschlössern. Wir wollen ihn bei uns haben, auf unsere Seite ziehen, für uns vereinnahmen.
Besinnen wir uns – wie war das in der vergangenen Woche! Womit habe ich mich intensiv beschäftigt, wo ist meine geistige und seelische Energie hingegangen, was habe ich zu erreichen versucht, herbei gesehnt, erbeten und erbetet? Wieviel davon hat sich um mich selbst gedreht, meine Familie, meinen Beruf, wieviel hat mit der Situation anderer, mir nahe stehender Menschen, der Gemeinde, der Kirche zu tun gehabt, wieviel mit Menschen, die mir fern stehen, weit weg sind, mit der Weltsituation.
So eingestimmt hören wir 1. Timotheus 2,1-6a
2,1 So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, 2 für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. 3 Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, 4 welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. 5 Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, 6 der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung, dass dies zu seiner Zeit gepredigt werde.
Bitte, Gebet, Fürbitte, Danksagung für alle Menschen.
Ich höre heraus: Allen soll es gut gehen. Wenns allen gut geht, geht auch uns gut: ein ruhiges und stilles Leben können wir führen.
Nicht dass es langweilig sein soll, aber es soll nicht bedrpoht un gefährdet sein. Auf manche Aufregungen, Schwierigkeiten, Ängste können wir ja getrost verzichten.
Die Gemeinde, die der 1. Timotheusbrief im Blick hat, ist in schweren inneren Konflikten und Auseinandersetzungen. Sie ist offenbar bedroht von innen und von außen. Das sind Christinnen und Christen, die Verfolgungssituationen kennen.
Nur nicht die Obrigkeit, die Könige reizen. So wars bei uns im Dritten Reich. Das können wir gut verstehen.
Wenn wir genau hinhören und auch weiterlesen im 1. Timotheus, dann spüren wir: das ist ein Beschwichtigungstext. Der ganze erste Timotheusbrief kreist um das Thema, nur ja nicht auffallen. Wir wollen ein ruhiges und stilles Leben führen in aller Ehrfurcht und Würde. Keine Streitigkeiten der Männer, schamhaftes und kontrolliertes Verhalten der Frauen: keine kunstvollen Frisuren, kein sich stylen mit Schmuck, Gold, Perlen und teuren Kleidern. Eine Frau soll unauffällig sein und sich in ihre Unterordnung fügen. Sie soll nicht lehren, denn das hieße ja über den Mann zu herrschen. Und das würde auffallen, das macht verdächtig!
Da stehen dann Sätze in diesem 1. Timotheus, die eine lange und schlimme Wirkungsgeschichte nach sich ziehen: Adam wurde zuerst geschaffen, dann Eva und Adam wurde nicht verführt, die Frau aber erlag der Verführung und ist so in die Gebotsübertretung geraten. Sie wird aber gerettet werden dadurch, dass sie Kinder zur Welt bringt.
Was ist daraus in der Folge geworden!? Das zieht sich bis in die Gegenwart.
Die Sünde ist durch die Frauen in die Welt gekommen, die sind an allem schuld, Sex ist Sünde. Am besten ists man lässt es bleiben, außer man will Kinder in die Welt setzen. Das soll und darf Mann und Frau. Da drückt Gott ein Auge zu!
Wieviel Verklemmung, wieviel Vergewaltigung des Menschlichen folgt daraus. Wieviel Not der kinderlos bleibenden Frauen, die sich als von Gott verworfen erleben mussten.
Wir streiten über Kopftücher der Muslima und vergessen, dass dies auch zu unserer Geschichte gehört. Ob es wirklich ganz überwunden ist?
Wir müssen lernen auch die Bibel kritisch zu lesen und zu erkennen, dass in ihr manches steht, das nur historisch erklär-und verstehbar ist, z.B. aus der Angst in einer bestimmten historischen Situation. Vielleicht war es ja damals wirklich kirchenpolitisch klug, die Gemeindeglieder zu ermahnen, sich unauffällig zu benehmen. Aber machen daraus keine ewige Wahrheit.
Gott, unser Heiland will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Das ist dann dagegen eine grundlegende, eine bleibende Wahrheit. Das gilt über hunderte von Jahren hinweg auch heute: denn wir sind lange nicht dort, wo uns ganz in die Wahrheit geholfen ist.
Die Welt und auch die christliche ist voller Lüge, voller scheinbarer Heiligkeit.
Ein Land das sich ganz friedlich gibt, ist im Krieg und gehört zu den größten Waffenproduzenten und -exporteuren der Welt.
Eine Partei, die christlich nennt, hat von einem der größten Waffenhändler auf illegale Weise illegales Geld in Empfang genommen.
Ein Kanzler hat sein Ehrenwort über das Gesetz gestellt und hält auch an seinem 80. und darüber hinaus daran fest.
Eine Kirche ringt um ihre Glaubwürdigkeit, ein Bischof lügt und muß zurücktreten. Eine Landeskirche fordert lauthals die Bewahrung der Schöpfung ein und kneift, wenn es um die kircheneigenen Gebäude geht. Wie können wir auf den Weg der Wahrheit finden?
Von Sokrates, dem griechischen Weisen wird die Geschichte von den drei Sieben überliefert:
Es kam einer zu ihm gelaufen und sagte: "Höre, Sokrates, das muß ich dir erzählen!" "Halte ein!" unterbracht ihn der Weise, "hast du das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt?" "Drei Siebe?", fragte der andere voller Verwunderung. "Ja, guter Freund! Laß sehen, ob das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe hindurchgeht: Das erste ist die Wahrheit. Hast du alles, was du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist?" "Nein, ich hörte es erzählen und..." "So, so! Aber sicher hast du es im zweiten Sieb geprüft. Es ist das Sieb der Güte. Ist das, was du mir erzählen willst gut?" Zögernd sagte der andere: "Nein, im Gegenteil..." "Hm", unterbrach ihn der Weise, "so lasst uns auch das dritte Sieb noch anwenden. Ist es notwendig, dass du mir das erzählst?" "Notwendig nun gerade nicht..." "Also, sagte lächelnd der Weise, "wenn es weder wahr noch gut noch notwendig ist, so laß es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit!“
Wie könnten wir dorthin kommen:
· wo wir, was immer wir tun und sagen, filtern und reflektieren auf seinen Wert für uns und für andere.
· wo wir dankbar werden und in unseren Gedanken nicht nur uns selbst und unsere Anliegen im Blick haben, sondern das Ganze und all die andern.
· wo wir ein lebendiges Zeugnis werden für Christus, der als Mittler zwischen Gott und den Menschen sich selbst gegeben hat für alle zu Erlösung, zur Befreiung aus den Ängsten, Mächten und Abhängigkeiten, die uns beherrschen.
Der heutige Sonntag sagt: Das Gebet ist der Weg! Und unser ganzer Weg ist im Grunde ein Gebet! „Die Welt ist wunderbar im Ganzen, daher ist vom Gebet kein Wunder zu erwarten – es sollte vielmehr das Wunder dankbar bestätigen!“ habe ich bei Ernst Jünger gelesen. Das Wunder des Lebens dankbar bestätigen! Einschwingen und einstimmen in die Dankbarkeit des Daseins, „dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen“ und für alle Geschöpfe Gottes und für alle Welt!
Für die Praxis gibt der Schweizer Nervenarzt und Schriftsteller Theodor Bovet hilfreiche Regeln, in denen es u.a. heißt:
1. Nimm dir täglich ein paar Minuten Zeit, um allein in der Stille zu sein. Entspanne Leib, Verstand und Herz.
3. Übe dich im Gespräch mit Gott, wenn du bei deiner alltäglichen Arbeit bist. Mach deine Augen ein paar Sekunden lang zu, wo immer du bist, im Geschäft, im Bus, am Schreibtisch (nicht beim Autofahren).
4. Berufe dich auf die Tatsache, dass Gott bei dir ist und dir hilft. Du sollst Gott nicht immer bestürmen und um seinen Segen bitten, sondern viel mehr von der Tatsache ausgehen, dass er dich segnen will.
7. Immer sollst du in deinem Gebet feststellen, dass du bereit bist, Gottes Willen anzunehmen, wie er auch sein mag.
8. Lege beim Beten einfach alles in Gottes Hand. Bitte um Kraft, dein Bestes zu können und überlasse das Übrige vertrauensvoll Gott.
9. Sprich ein Wort der Fürbitte für die, die dich nicht mögen oder dich schlecht behandelt haben. Das wird dir außerordentlich Kraft geben.
10. Täglich sollst du irgendwann einmal ein Gebet für dein Land sprechen und um die Erhaltung des Friedens beten.
Am Ende ist es mit dem Beten vielleicht einfach so wie es die alte Geschichte von Rabbi Luria berichtet: Der traf einen Menschen, dessen Gebete eine besondere Kraft zu eigen war. "Wie betest Du?", fragte der Rabbi den Menschen. Dieser entgegnete. "Ich kann weder lesen noch schreiben. Aber ich kann das Alphabet aufsagen. Ich bitte Gott, aus meinen Buchstaben Gebete zu formen."
So bitte ich Gott aus den Buchstaben meines Lebens, den Fragmenten und Bruchstücken meiner unbeholfenen und kläglichen Versuche etwas zu machen, das stimmig ist, ehrlich, aufrichtig und wahrhaftig. Ich bitte Gott um Einstimmung in seinen Willen, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Ich bitte Gott: Führe mich auf den Weg Christi, den Weg der Freiheit und der Wahrheit, den Weg der unbezwingbaren Liebe. Amen
Lied EG 635 Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut
Fürbittengebet von Antoine de St. Exupery
Ich bitte nicht um Wunder und Visionen, Herr, sondern um die Kraft für den Alltag. Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte. Ich bitte um Kraft für das rechte Maß, dass ich nicht durch das Leben rutsche, sondern den Tageslauf bewusst wahrnehme, auf Lichtblicke und Höhepunkte achte und Raum finde für Augenblicke der Stille. Lass mich erkennen, dass Grübeln nicht weiterhilft, weder über die Vergangenheit noch über die Zukunft. Hilf mir, das Nächste so gut wie möglich zu tun und die jetzige Stunde als die wichtigste zu erkennen. Bewahre mich vor der Erwartung, es müsste im Leben alles glatt gehen. Schenke mir die Erkenntnis, dass Schwierigkeiten, Niederlagen, Misserfolge und so genannte Rückschläge eine hilfreiche Zugabe zum Leben sind, durch die wir wachsen und reifen. Schicke mir im rechten Augenblick jemanden, der den Mut hat, mir die Wahrheit in Liebe zu sagen und lass mich deine Wahrheit aus meinem Innersten hören. Ich weiß, dass sich viele Probleme auch dadurch lösen können, dass ich nichts tue. Zeige mir, wo ich warten soll und gib mir die Geduld und das Vertrauen dazu. Du weißt, wie sehr wir der Freundschaft bedürfen. Gib, dass ich diesem schönsten, schwierigsten, riskantesten und zartesten Geschäft des Lebens gewachsen bin. Verleihe mir die nötige Wachsamkeit, im rechten Augenblick ein Päckchen Güte – mit oder ohne Worte – an der richtigen Stelle abzugeben. Mach aus mir einen Menschen, der einem Schiff mit Tiefgang gleicht, um auch die zu erreichen, die unten sind. Bewahre mich vor der Angst, ich könnte das Leben versäumen. Gib mir nicht, was ich mir wünsche, sondern was ich brauche. Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte. Lass mich jeden Tag Dich in mir spüren. So können auch die anderen Dich durch mich erfahren und fühlen, dass Du in uns allen bist, bei jedem kleinen Schritt. Amen