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Karl Napf
Am 20.10.2011 17:49, schrieb Eberhard Braun:
Lieber Herr Jandl! Bei Hellmut G. Haasis habe ich eine Interpretation und Kritik von Matth. 20 von Ihnen gefunden: "Die erste Fundstelle befindet sich freilich in der Bibel im Gleichnis der Arbeiter im Weinberg. Jeder fängt an, wenn es ihm passt, und alle erhalten den gleichen Lohn. Der Verfasser schäumte bei diesem Beispiel schon als Grundschüler. Später wurde er belehrt, es ginge „nur“ um den Einzug in das Himmelreich, der jederzeit möglich sei."

Ich stimme Ihnen sehr zu in der Kriitk, wenn es so zu verstehen wäre. Ich glaube aber, es ist anders zu verstehen:

Der Silbergroschen, den am Ende alle bekommen ist die Tagesration: Das was einer zum Leben an einem Tag braucht! Die Botschaft heißt: Alle, ob früh oder spät Kommende, Behinderte, Frauen, Benachteiligte, Arbeitslose, Zeitarbeiter, Lohnsklaven, AfrikanerInnen, wer auch immer und wie auch immer, soll bekommen, was er/sie zum Leben braucht: Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger, wenn der Markt eben gerade mal so oder so ist und die Zocker mit den Menschen spielen! Nicht der Markt, nicht der Zufall soll letztlich entscheiden, sondern Menschenliebe und Güte!

In der gegenwärtigen Situation ein geradezu revolutionäres Ansinnen und in meinem Verständnis ein Text, der Ihren an der betr. Stelle (Ralf Jandl DENK-MAL)  weiter vorgetragenen Anliegen durchaus entspricht und sie geradezu stützt

Mit einem freundlichen Gruß

Ihr

Eberhard Braun


Am 20.10.2011 um 18:11 schrieb Jandl:

Lieber Herr Braun,

herzlichen Dank für ihr mail. Ein echter Lernzuwachs! Die Bibel liegt oft besser im Trend als die Kirche. Nachdem der Kapitalismus endlich ins Rutschen gekommen ist muss man solche Gedanken wieder aufgreifen. Ich werde das tun.
Woher stammt ihre Auslegung dieser Bibelstelle, die glaube ich schon viele irritiert hat?
Besten Gruß
Ralf Jandl und Karl Napf

Antwort eb:

Lieber Herr Jandl/Karl Napf,
in der von mir vorgestellten Interpretation sind sich fast alle großen Ausleger der Bibelstelle von Jülicher, über Jeremias, Bornkamm bis Drewermann mehr oder weniger einig. Manche mit ein bißchen mehr Gewicht auf Gottes Freiheit und Güte, andere mit einem stärkeren Blick auf die soziale Wirklichkeit.
Der Grundtenor ist die Gegenüberstellung von "Gerechtigkeit"  und "Güte"!
Es ist bekannt, dass zur Zeit Jesu die Sklaven und Tagelöhner keinen Rechtsanspruch auf Lohn hatten und dass es sehr viele Arbeitslose gab. J. Jeremias: "Unser Gleichnis ist mitten aus einer Zeit genommen, über der das Gespenst der Arbeitslosigkeit stand" (Gleichnisse Jesu). Flavius Josephus berichtet in den jüdischen Altertümer , dass man nach dem Tempelbau in Jerusalem die "Handwerker, mehr denn 18000 an der Zahl, müßig gehen sah".
Ausbezahlt wurde jeweils nur der Tageslohn, in der Regel eben wie hier 1 Denar (Silbergroschen). Das Bibel Lexikon Wiki schreibt zu Denar:
"1/2 bis 1 Denar entspricht dem Tageslohn eines einfachen Arbeiters (Mt20,2, 9; 10; 13) und diente damit der Existenzsicherung einer Kleinfamilie für Unterkunft und Verpflegung für einen Tag. Ein einfacher Legionär bekam ein Jahressold von 225 Denar, also etwa soviel wie ein Arbeiter. Ein leichtbewaffneter Soldat einer Hilfstruppe bekam nur 180 Denar. Höhere Offiziere und Funktionäre wurden dagegen mit außerordentlichen Summen bedacht. Das Jahresgehalt eines Centurio betrug bis zu 37500 Denar, ein Procurator verdiente gar 50 000 Denar/Jahr. Höhere Funktionäre bis zu 250 000 Denar/Jahr. Ein kleines Zimmer im obersten Stock eines Mietshauses in Rom konnte man für etwa 3 Denar pro Monat mieten. Arbeitszeit war damals deutlich billiger als heute. Aber auch die Produktivität war erheblich geringer. Die Herstellung der Produkte nahm wesentlich mehr Zeit in Anspruch und mussten daher teurer bezahlt werden. Für einen guten Liter Wein musste man einen halben bis einen Denar bezahlen, für ein Arbeitsgewand 10 Denar und eine feine Tunika 50 Denar. Ein Scheffel Getreide (8,73 l) oder kostete 1/4 bis 1/2 Denar, bei Nahrungsmittelknappheit jedoch erheblich mehr. 1kg Rindfleisch schlug ebenfalls mit 1/2 Denar, Schweinefleisch mit mindestens dem doppelten Betrag zu Buche. Für ein Paar Schuhe bezahlte man 3-4 Denar. Einen Sklaven konnte mann für ca. 500 Denar kaufen. Von daher lässt sich auf die Größenordnung schließen, um die es sich bei dem Salböl der Maria handelte (Joh12,5), das Judas gerne für 300 Denare verkauft hätte. Auch wird deutlich, dass von 200 Denaren nicht ausreichend Brot für eine so große Volksmenge zu kaufen war, denen sich Jesus und seine Jünger gegenüber sahen (Joh6,7).)."

E. Drewermann schreibt in seinem Matthäuskommentar zur Stelle: "Das ist der Dreh-und Angelpunkt der ganzen Auseinandersetzung: Man gebe den Menschen, was sie nötig haben, denn, muß man ergänzen, mit dem, was sie verdienen, können sie nicht leben."(Drewermann, Matthäusevangelium 2, S. 508) und: die Botschaft des  Jesus von Nazareth - "Gebt den Menschen, was sie brauchen - verläßt den Standpunkt der Gerechtigkeit!"
Die Worte  "verdienen"  und "Gerechtigkeit" haben natürlich im biblischen und zumal im reformatorischen Hörgang mehrere Klangfarben bis hin zu jenem "gerecht ohne des Gesetzes Werke" und  "ohn all mein Verdienst und Würdigkeit".


Ich füge Ihnen eine Predigt von Drewermann über die Stelle Matth. 20, 1-16 als PDF bei, die viel von dem enthält, was ich zur Stelle denke.
Und, wie am Telefon angekündigt, einen Text von mir.

Eine gute Zeit und vielleicht treffen wir uns mal zu einem Gespräch?
Mit guten Wünschen für Ihre Vorhaben (Jean Paul etc.)
Ihr
Eberhard Braun

 
Wichtiger Hinweis  
  Ab sofort gibt es Texte, Bilder, Zitate auf:

http://ebebraun.tumblr.com/
 
neu dazugekommen  
  Fridolin Stier: Jesus von Nazaret vor dem Bild des Christus (anderes..)

Link: Fridolin Stier - Gedicht Genesis (guck mal)

Predigt Oferdingen 30.10.2011 (predigten)

mit Karl Napf zu Matth. 20-Arbeiter im Weinberg (s. an-ein-aussprüche)

Predigt Pfullingen 16.10.2011

aktuelle Sprüche (s. unten)












 
aktuelle Sprüche  
  Systemfehler
Bei einer Veranstaltung für ältere Menschen in einer Schwarzwaldgemeinde waren auch die beiden Pfarrer des Dorfes anwesend. In der Pause fragte der Entertainer den katholischen Geistlichen, warum die Kirche sich moralisch fast ausschließlich auf den §218 konzentriere und zum Beispiel zur Lüge, die sich auch verheerend auswirke, nichts sage. Der Pfarrer stutzte eine Sekunde und erwiderte dann: "Gegen die Lüge kann man nichts machen, darauf beruht unser ganzes System." Napf erschrak über die Offenheit, da das Programm aber weiterging, konnte er nicht einmal fragen, welches System der Geistliche gemeint habe, das weltliche oder das religiöse oder gar beide.
Gefunden bei Karl Napf: (http://karlnapf.net/)



„Wo nicht der Mensch, sondern das zinstragende Kapital der Gegenstand ist, dessen Erhaltung und Mehrung der Sinn und das Ziel der politischen Ordnung ist, da ist der Automatismus schon im Gang, der eines Tages die Menschen zum Töten und Getötetwerden auf die Jagd schicken wird.“ (Karl Barth, Die kirchliche Dogmatik Band III/4, Zürich 1951, S. 525.)
 
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