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(M)eine Theologie der OK

Eine offene Kirche dient der Welt bis zuletzt!
(Dietrich Bonhoeffer)

 

(M)eine Theologie der Offenen Kirche – ein Versuch

1. Einleitung

Er erzählt Geschichten!

Vielleicht die bekannteste, die von ihm überliefert wird, handelt von einem Vater mit zwei Söhnen. Der jüngere verlangt sein Erbteil, nimmt es an sich und bringt es „durch mit Prassen“. Er geht vor die Säue. Als er heimkommt wird er mit offenen Armen empfangen. Kein Vorwurf, sondern:  Festgewand, Ring, Schuhe, Kalb, ein Fest. (Luk 15, 11ff). Der brave ältere Bruder fühlt sich sehr benachteiligt und motzt!

Gemeinhin wird die Geschichte so ausgelegt:
Was für ein Vater! Was für ein Gott, der den Verlorenen, die Sünder überhaupt! so barmherzig annimmt – besser allerdings wäre gewesen, der Schlack wär anständig zu Hause geblieben! Und die verlorenen Kinder Gottes würden endlich begreifen, dass sie´s nicht hinkriegen!

Demgegenüber bin ich mir ganz sicher, dass Jesus sich klar identifiziert mit dem jüngeren Sohn:

Das ist er selbst, der das Erbe beansprucht und verschleudert, verprasst, der sich mit Gesindel, Zöllnern, Huren, Sündern gemein macht. Nach allem, was wir von ihm wissen - und so viel ist es ja dann am Ende gar nicht - ist das am besten bezeugt: Dass er „ein Freund der Zöllner und Sünder“ genannt wird (Lk. 7, 34, Mt. 11, 19), sich „in schlechter Gesellschaft“ (Adolf Holl) zeigt und sich ganz anders verhält, als man dies von einem anständigen jungen Mann, einem Rabbi gar, erwartete.
Dass er mit dem jüngeren Sohn wirklich sich selber meinen könnte, zeigt unmittelbar im Anschluss Lk 16, 1ff das Gleichnis vom unehrlichen Verwalter, das man m.E. gar nicht anders interpretieren kann. Das ist nur zu verstehen als eine allegorische Satire auf sich selbst und seine Situation. Das ist theologisches Kabarett!

Da wird einer beschuldigt, den anvertrauten Besitz zu verschleudern und der Gauner macht die Not zu Tugend!  Wir haben das alle im Ohr: schreibe flugs 50! Die Überraschung liegt in dem Schlusssatz: Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. (Lk.16,8)

Ich bin ganz überzeugt, dass dieses „klug“ als „richtig“ zu interpretieren ist. Gott gibt dem Freund der Zöllner und Sünder, dem Fresser und Weinsäufer, dem unehrlichen  Verwalter, dem unsicheren Kantonisten, dem Sabbatschänder und Verschwender, dem Heiland der Aussätzigen und Unreinen, dem Genossen der Samariter etc. Recht!
Ernst Käsemann
, unser großer Lehrer, schreibt:

„Die folgende Geschichte wurde mir in Amsterdam nach der großen Sturmflut erzählt, welche Holland 1952 heimsuchte. Sie spielt in einer jener Gemeinden, welche sich dort den Geboten Gottes, also auch der Heiligung des Sabbats, aufs strengste unterwerfen. Sie wird von Wind und Wellen derart bedroht, daß man genau am Sabbat den Deich verstärken muß, wenn man überleben will. Die Polizei verständigt den Ortspfarrer, der nun in einen religiösen Konflikt gerät. Darf er die ihm anvertraute Gemeinde zur notwendigen Arbeit rufen, wenn das den Sabbat entweihen läßt? Darf er sie umgekehrt dem Untergange preisgeben, um den Sabbat zu ehren? Der Last persönlicher Verantwortung erliegend, beruft er den Kirchenvorstand zur Beratung und Entscheidung ein. Die Debatte verläuft wie vorherzusehen: Wir leben, um Gottes Willen zu erfüllen. Der Allmacht sind Wunder auch über Winde und Wellen allezeit möglich. Unsere Pflicht ist der Gehorsam, sei es zum Leben, sei es zum Sterben. Der Pfarrer versucht, vielleicht gegen die eigene Überzeugung, ein Letztes: Hat nicht selbst Jesus gelegentlich das Gebot des Sabbats durchbrochen und den Menschen zum Herrn des Sabbats statt den Sabbat zum Herrn des Menschen erklärt? Darauf erhebt sich ein ehrwürdiger Greis: Herr Pfarrer, es hat mich stets bedrängt, was ich bisher nicht offen auszusprechen wagte. Nun muß ich es sagen. Ich habe schon immer das Gefühl gehabt, daß unser Herr Jesus ein bißchen liberal gewesen ist.“

Käsemann am Ende seines Aufsatzes:

War Jesus liberal? Wir haben das von da aus bejaht, daß Jesus die Theologie und die Frömmigkeit seiner Zeitgenossen durchbrach, an die Stelle des mosaischen Gesetzes Gottes Verheißung und Liebe stellte, an die Stelle der jüdischen Tradition seine eigene Geistbegabung, an die Stelle der Kasuistik die Klarheit über Gottes Willen, an die Stelle der frommen Werke die Gnade, sich nicht einmal scheute, die Vernunft zu gebrauchen und an sie zu appellieren. Insofern war er liberal und hat niemand das Recht, Frömmigkeit und Liberalität voneinander zu trennen. Daß er die Mitmenschlichkeit ermöglichte und forderte, beweist das noch deutlicher. Daß er das alles jedoch nicht im Namen eines humanen Ideals tat, sondern mit dem Anbruch der Gottesherrschaft auf Erden verband und im Zeichen dieser angebrochenen Gottesherrschaft empfangen und weitergegeben wissen wollte, daß sein Leben und Sterben, seine Botschaft und Tat das erste Gebot verwirklichte, läßt es geraten erscheinen, zum Schluß das Wort „liberal" theologisch zu vertiefen und zu präzisieren. Liberal war er anders als alle andern, also einzigartig darin, daß er in der Freiheit der Gotteskindschaft stand, lebte und starb, handelte und sprach. Die Freiheit der versöhnten, aus der Verlorenheit zurückgerufenen Gotteskinder ist seine Offenbarung, seine Herrlichkeit, Gabe und Forderung. Seit ihm und durch ihn ist diese Freiheit der Gotteskinder die wahre Signatur des Evangeliums und das ausschlaggebende Kriterium für alles, was sich christlich nennt, insofern natürlich auch für das Unchristliche, das sich kirchlich, konfessionell, religiös und theologisch tarnt. (Ernst Käsemann (1906-1998).: War Jesus liberal? In: Ders.: Der Ruf der Freiheit. 2., unveränderte ed. Tübingen: Mohr, 1968.)

Um diese Freiheit geht’s (m)einer Theologie der offenen Kirche.

Wenn Theologie der Versuch ist den Glauben wissenschaftlich zu erfassen, darzustellen und zu verantworten: historisch, systematisch, soziologisch, psychologisch, praktisch in einem Prozess des Nachdenkens über alles, was mit dem Glauben zu tun hat – Gott, Welt, Mensch – dann ist zu fragen, wie sie das tut: 

Offen und offensiv, unabhängig und kritisch in Bezug auf Methoden und Ergebnisse?

Oder befangen, defensiv, harmonistisch, dogmatisch und apologetisch?

 

(M)eine Theologie der offenen Kirche ist kritisch, d.h. sie hält a priori nichts für gegeben und selbstverständlich, sondern alles für frag-würdig. Es gilt genau hinzuschauen!

Das gilt zuerst und zunächst für die Urkunde des Glaubens: die Bibel.

2. Ein befreiter Umgang mit der Bibel.

Inwiefern ist die Bibel des Alten und des Neuen Testaments heilige Schrift, Wort Gottes?

In jüdischer, katholischer und lutherischer Orthodoxie gab es zeitweise die Überzeugung von der Verbalinspiration, wörtliches Diktat aller Buchstaben, Silben, Worte, Sätze, Bücher der Bibel. Große Teile der Evangelikalen setzen den Bibeltext unmittelbar mit Gottes Offenbarung gleich. Sie betonen mit der „Chicago Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift“ von 1978, „daß die Schrift in ihrer Gesamtheit irrtumslos und damit frei von Fehlern, Fälschungen oder Täuschungen ist“.

Seit dem 18. Jahrhundert werden wissenschaftliche Methoden auch auf die Bibel angewandt. Sie wird betrachtet wie und als ein Buch wie andere, analysiert mit den Methodenschritten der historisch-kritischen Methode. Ziel ist, einen biblischen Text in seinem damaligen historischen Kontext auszulegen, wobei die Rekonstruktion der vermuteten Vorgeschichte des Textes eine besondere Rolle spielt. Sie ist ein buntes Gemisch aus verschiedenen Fragestellungen.

Wichtig ist für unseren Zusammenhang:

Die biblischen Bücher und Texte werden nicht als unantastbar heilig, göttlich, sondern als menschlich, geschichtlich, vergleichbar gesehen und kritisch betrachtet. Dass und inwiefern sie die Urkunde des Glaubens, die norma normans ist, was der Sinn ihrer Worte, ihre Mitte ist, muss immer neu diskutiert und verhandelt werden. Aktuelles Beispiel:

 Offener Brief der Altbischöfe Eduard Berger, Bischof a. D., Heinrich Hermanns, Landesbischof i. R.,

Jürgen Johannesdotter, Landesbischof und Beauftragter für den Kontakt zu den Kommunitäten, Schwestern- und Bruderschaften,  Dr. Werner Leich, DD, Bischof em., Dr. Gerhard Maier, Landesbischof i. R., Dr. Gerhard Müller, Landesbischof i. R., Dr. Theo Sorg, Landesbischof i. R., Dr. Ulrich Wilckens, Bischof i. R. im Januar 2011 an die EKD-Synodalen.

„Der Gegensatz zwischen den Gliedkirchen in dieser Sache darf aber jetzt nicht aufgehoben, er muss vielmehr ausgehalten und in verantwortungsvoller Auseinandersetzung redlich und offen ausgetragen werden. Denn es geht dabei im Grunde um nichts Geringeres als um die Frage, ob evangelische Kirchen darauf bestehen, dass die Heilige Schrift die alleinige Grundlage für den Glauben und das Leben ihrer Mitglieder und für den Dienst und die Lebensführung ihrer ordinierten Pfarrerinnen und Pfarrer bleibt, oder ob eine Landeskirche nach der anderen eine Angleichung an die in der Gesellschaft üblich gewordenen Lebensformen für so wichtig halten, dass sie dafür die Orientierung an der Heiligen Schrift aufgeben bzw. aufweichen.

 

Zur Begründung sind vor allem drei biblische Aussagen anzuführen, die im Ganzen der Bibel von zentraler Bedeutung sind. Nach Römer 1,26f. gehört gleichgeschlechtliches Zusammenleben in exemplarisch hervorgehobener Weise zu den Gott-widrigen Verhaltensweisen, denen "die Offenbarung des Zorn(-gerichts) Gottes" gilt (Römer 1,18). Wo Menschen anstelle der "natürlichen Lebensweise" des Verkehrs von Mann und Frau (1. Mose 1,27f.) "in einer widernatürlichen Lebensweise des Verkehrs von Frauen mit Frauen und Männern mit Männern" leben, da verlassen sie die gute Ordnung des Schöpfers für alle Menschen. Nach 1. Kor. 6,9f, und 1. Tim. 1,10 schließt gleichgeschlechtliches Zusammenleben wie alles andere gerechtigkeitswidrige Tun von der Teilhabe an Gottes Reich aus. Man kann diesen Aussagen weder durch die Annahme ausweichen, hier gehe es lediglich um den Verkehr mit Lustknaben in den antiken Tempeln, nicht aber um verantwortungsvoll gelebte Homosexualität, noch durch das Urteil, es handle sich um eine der mancherlei Angelegenheiten der damaligen Vergangenheit, die heute ihre Gültigkeit verloren hätten - wie z.B. das Verbot für Frauen, im Gottesdienst zu predigen (1. Kor. 14,34f.). Das Erste ist durch die grundsätzliche Formulierung des Apostels in Römer 1,18-27 ausgeschlossen, das Zweite vor allem durch das Gewicht des Ausschlusses vom Heil des Reiches Gottes, das bei dem Predigtverbot für Frauen natürlich fehlt. Solcherlei Um- und Zurechtdeutungen so gewichtiger Aussagen der Heiligen Schrift sind weder Christen erlaubt noch helfen sie dazu, eine an die Lebensweisen der heutigen Welt angeglichene Praxis in der Kirche Christi zu rechtfertigen. Hier gilt ganz einfach die Warnung aus dem Lutherlied: "Das Wort sie sollen lassen stehen!"“ (Quelle: http://www.theologiestudierende.de)

3. Die Mündigkeit eines erwachsenen Glaubens

Helmut Gollwitzer zitiert in seinem Buch, Krummes Holz…S.35 Dietrich Bonhoeffer

“... Gelingt es ...nicht, den Menschen dazu zu bringen, daß er sein Glück als sein Unheil, seine Gesundheit als seine Krankheit, seine Lebenskraft als seine Verzweiflung ansieht und bezeichnet, dann ist das Latein der Theologen am Ende” (230).

Bonhoeffer widerstrebte die “Ausnutzung menschlicher Schwäche" (181) durch solche “raffinierten Methoden « (230) zu dem betreffenden Menschen »fremden, von ihm nicht frei bejahten Zwecken« (218). Hier werden die Schwächen des Menschen “ausspioniert” (235), ein »pfäffisches« “Hinter-den-Sünden-der-Menschen-Herschnüffeln” (234), christlicher oder säkularisierter Methodismus« (217), eine christliche Apologetik, die »sinnlos«, »unvornehm« und »unchristlich« ist (217f). Gott wird hier verwendet für das, was der Mensch begehrt, als der Machtgott, der deus ex machina (242), den man als »Lückenbüßer« (211) für die Lösung der menschlichen Fragen anpreist mit der Behauptung, daß »nur Gott eine Antwort geben kann«, und daß man um solcher Antwort willen »Gott und die Kirche und den Pfarrer braucht« (216). Das ist zwar eine naheliegende Methode; denn  - so meint man – wie soll man anders den Menschen zum Glauben bringen als so, daß man ihm andemonstriert, wie sehr er Gott braucht?

 

Gollwitzer: Bonhoeffer wollte nicht bestreiten, daß der Mensch Gott brauche (vgl. seine Gedichte »Wer bin ich?«, 242f, und »Von guten Mächten« 275f); er sah aber, daß das Wirken des Evangeliums am Menschen anders ist, als es in diesem »Methodismus« gesehen wird: Keine Methode kann sicherstellen, daß ein Mensch das Evangelium hört; wenn er es aber hört, dann geschieht eine »Umkehrung" weg von den »eigenen Nöten, Fragen, Sünden, Ängsten«, ein »sich in den Weg Jesu Christi Mithineinreißenlassen« (245). Aus dem „Gott-für-mich-brauchen-wollen“ wird in dieser »Umkehrung alles menschlichen Seins« das »Teilnehmen am Sein Jesu«, an Jesu "Für andere-da-sein« (259)

 

»Das ist die Umkehrung von allem, was der religiöse Mensch von Gott erwartet. Der Mensch wird aufgerufen, das Leiden Gottes an der gottlosen Welt mitzuleiden« (244); »nur der leidende Gott kann helfen (242), das heißt: wahre Hilfe für uns liegt in dem Weggeholtwerden von unseren egoistischen Fragen, nicht darin, daß wir Gott in unseren Dienst stellen, sondern darin daß wir in seinen Dienst gestellt werden, in »ein neues Leben im Da-sein-für-andere«(251)... »Jesus nimmt das ganze menschliche Leben in allen seinen Erscheinungen für sich und das Reich Gottes in Anspruch«, und zwar auch »die mündiggewordene Welt« (231), die „auch ohne Gott mit diesen Fragen fertig zu werden (211) vermag“ in »männlicher Nüchternheit« (216). Darum möchte Bonhoeffer eine christliche Verkündigung, die den Menschen nicht an seiner schwachen, sondern an seiner stärksten Stelle mit Gott konfrontiert« (236), »nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen“ (182), und ihm hier einen neuen Sinn in sein Leben bringt - nicht dadurch, daß sie ihn davon überzeugt, daß er Gott brauche, sondern dadurch, daß sie ihm sagt, daß Gott ihn braucht. ....Bonhoeffers Offenbarungstheologie (ist überzeugt), daß es von dem egoistischen Interesse des Menschen zu dem neuen Interesse in Dienst und Nachfolge keinen kontinuierlichen Übergang, sondern eben nur eine »Umkehrung« gibt, und daß diese Umkehrung der Kraft des Wortes Gottes, der „Begegnung mit Jesus Christus“ (259) zuzutrauen ist.“

(Gollwitzer zitiert Bonhoeffer nach Widerstand und Ergebung hg. Eberhard Bethge 6.Auflage 1955)

4. Radikale und fundamentale Nicht-Abhängigkeit

In weiten Teilen erscheint Religion überhaupt und die christliche insbesondere als heteronomes System von Macht und Abhängigkeit.

Ann Wilson Schaef, amerikanische Therapeutin indianischen Ursprungs, analysiert auf der Basis ihrer Erfahrungen in der Arbeit mit Suchtabhängigen unsere Lebensweise insgesamt als Suchtsystem. Merkmale dieses Suchtsystems sind (hier bezogen auf Kirche, Glauben, Religion):

Versprechen - Glück, Erlösung, ewiges Leben, Lohn im Himmel, alles wird gut -, Vereinnahmung - es gibt Probleme, aber auch Gutes, das muss man doch unterstützen -

Kontrolle - im Suchtsystem versucht jeder jeden zu kontrollieren: die Frage nach dem „richtigen“ Glauben und dem „richtigen“ Verhalten, was man tut und was nicht -,

Fremdbestimmtsein und Aussenorientierung - wichtig ist, was die anderen sagen, was ist normal, was darf ich und was nicht -

Außerkraftsetzung - Alternativen, andere Möglichkeiten, Sichtweisen, Lebensformen werden als nicht existent, unbedeutend, verachtenswert oder gefährlich herabsetzt -

Dualismus - es gibt nur eine Wahrheit, nur ein entweder oder! Wenn etwas als wahr erkannt wurde, ist alles andere falsch.

Matth. 12, 30 Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich – aber auch Mark. 9,40: wer nicht gegen uns ist, der ist für uns! Die Stelle ist bemerkenswert, insofern sie erkennen lässt, dass Jesus die Heilkraft nicht an sich persönlich gebunden sieht!

„Das Suchtsystem ist in seiner Orientierung lebensfeindlich und unlebendig. Damit wir dazugehören verlangt uns dieses System ab, unsere persönliche Identität aufzugeben, unsere Kraft, unser Bewusstsein und Wissen. (Ann Wilson Schaef, Im Zeitalter der Sucht, dtv 1999)

Ihr Resumée: Kirche als Teil des Suchtsystem beeinträchtigt die Fähigkeit zur Entfaltung der eigenen Spiritualität von Menschen. Der johanneische Christus aber sagt: Ich bin gekommen, dass sie das Leben und alles in Fülle haben sollen (Joh. 10, 10)

 

Eugen Drewermann beschreibt vor allem im Blick auf die katholische Kirche das System der Abhängigkeit als nicht mehr glaubwürdig. In der Vergangenheit sei das die Stärke der Kirche gewesen: Gehorsam des Glaubens macht heilsgewiss und verabreicht den Garantieschein, richtig zu sein! Dieser Typ von Religion ist nicht mehr glaubwürdig, funktioniert nicht mehr. Das hat mit der Reformation begonnen und sich mit  Feuerbach, Nietzsche und Freud verstärkt fortgesetzt. In der Terminologie Freuds ist Religion ein Ensemble des Über-Ichs, eine mechanisierte Form von verinnerlichtem Zwang, Gewalt und Schuldangst. Drewermann: Das funktioniert nicht mehr oder immer weniger! Die Menschen lassen sich nicht mehr in dieses System einfangen. Sie wandern aus!

Wo Es war soll Ich werden. Eine andere Gestalt von Religion muss der Individualisierung, dem Personwerden, der Mündigkeit des Menschen dienen. (Eugen Drewermann, Ein Weltgebäude ohne Architekt, Darwin, der Papst und die Rolle Gottes in der Evolution - 23.10.1999 Neue Zürcher Zeitung)

5. Das protestantische Prinzip

Paul Tillich schreibt:

Der Protestantismus bejaht die absolute Majestät Gottes und erhebt prophetischen Protest gegen jeden menschlichen – kirchlichen wie profanen – Anspruch auf absolute Wahrheit und Autorität“(147). „Der Protestantismus bejaht die göttliche Souveränität gegenüber den Institutionen und Dogmen der christlichen Kirchen und protestiert gegen alle Versuche, die christliche Botschaft an die Lebensformen und Ordnungen irgendeiner geschichtlichen Kirche zu binden“(148) (Prinzipien des Protestantismus in Paul Tillich, Der Protestantismus als Kritik und Gestaltung, Siebenstern-Tabu 64, 1966) 

Das protestantische Prinzip zerbricht jede Fixierung und Instrumentalisierung, Dogmatisierung und Ideologisierung. Es sieht und bejaht die eigene Geschichte, auch die schwierige, belastete Gewaltgeschichte. Es sieht den Balken im eigenen Auge und nicht (nur) den Splitter im Auge des andern.

(M)eine Theologie der offenen Kirche verweigert die Vereinnahmung in Feindbilder.

Das setzt zwischen etablierte und durchaus verlockend bequeme Stühle. Da werden Bundesgenossen entdeckt, wo keine sein konnten und im vermeintlich eigenen Lager erbitterte Gegner. Das hat Jesus gemeint, wenn er sagen konnte, er sei gekommen den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter...Des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen. (Matth. 10, 36f)

6. Nüchterne und positive Anerkennung des religiösen und theologischen Pluralismus

Friedrich Wilhelm Graf sagt in einem Vortrag im SWR:

„Hegel hat in seinen Berliner Vorlesungen zur Philosophie der Religion dem religiös vorstellenden Bewusstsein eine außerordentlich hohe Imaginationsmacht zugeschrieben, eine nahezu unbegrenzte mythopoietische Produktivität, auch die Kraft zum Fantastischen. Religiöse Symbolsprachen sind deshalb durch eine extrem hohe Interpretationsoffenheit gekennzeichnet. Religiöser Sprache eignet ein spezifischer Reichtum an Bildern, Metaphern, Erlösungsnarrativen und Transzendenzchiffren, die je nach Ort, Zeit und Interesse von Akteuren ganz unterschiedlich angeeignet, ausgelegt und fortgeschrieben werden können.

Gerade die elementare Vieldeutigkeit religiöser Vorstellungen ermöglicht es Gruppen wie Individuen, in ihnen ihre je besonderen Weltsichten, Hoffnungen, idealen Lebensordnungen und Heilserwartungen auszudrücken. Die einen nehmen religiöse Schöpfungssprache dafür in Anspruch, bestimmte Institutionen als Schöpfungsordnungen zu sakralisieren. Andere entwerfen mit Schöpfungssprache eine Ethno-Religion, in der das eigene Volk durch Rückbindung an den Schöpfer, durch Unmittelbarkeit zu Gott heilige Unterschiedenheit und Überlegenheit über die anderen gewinnt. Wieder andere konstruieren mit genau denselben Vorstellungen ein universalistisches Ethos von Menschenwürde und vorstaatlichen Menschenrechten, etwa im Rückgang auf die Ebenbild-Symbolik des Alten Testamentes. Und in den ökopietistischen Lebensreformbewegungen im Europa des späten 20. Jahrhunderts dient der christliche Schöpfergott dann häufig als Moralverstärker, um uns zur "Bewahrung der Schöpfung" anzuhalten.

Wenn es in der gegenwärtigen weltweiten religiösen, politischen und religionspolitischen Auseinandersetzung, im Streit der Kulturen, dem befürchteten oder realen „Clash of Civilizations“ auch und zentral um Fragen von Autonomie und Heteronomie, um Mündigkeit und Unterwerfung, um Freiheit und Abhängigkeit, dann ist zu beachten, dass der Unterwerfergott dabei nicht nur – ganz offenkundig - im Islam, sondern auch bei den restaurativen und militanten Inquisitoren christlicher Couleur zu finden ist. Das dokumentiert ein Text, den Graf zitiert:

„Die Entwicklung des Prinzips der Gewissensfreiheit ist ein Beleg dafür, dass heutzutage die Religion von einer „öffentlichen“ zu einer „privaten“ Angelegenheit des Menschen geworden ist. An sich ist diese Entwicklung ein Beweis für den Zerfall des geistigen Wertesystems, dafür dass der überwiegende Teil der Gesellschaft, der sich zum Prinzip der Gewissensfreiheit bekennt, des Strebens nach Heil verlustig gegangen ist. Und wenn der Staat ursprünglich als Instrument der Durchsetzung des göttlichen Gesetzes in der Gesellschaft gegründet wurde, so verwandelt die Gewissensfreiheit den Staat endgültig in eine ausschließlich irdische Institution. Die Durchsetzung der Gewissensfreiheit als legales Prinzip verweist auf den Verlust von religiösen Zielen und Werten in der Gesellschaft, den massenhaften Abfall vom Glauben sowie der faktischen Indifferenz gegenüber dem Auftrag der Kirche und der Überwindung der Sünde.“ (Die Grundlagen der Sozialdoktrin der russisch-orthodoxen Kirche, Moskau August 2000 zit.n. SWR2 AULA vom 13.04.2009 Menschenbilder sind Gottesbilder (2) – Die Moderne und ihre religiösen Konflikte von Prof. Friedrich Wilhelm Graf)

Die Kampflinien verlaufen anders als oft gedacht:

Helmut Schmidt hat am 11. Januar 2011 in seiner Festansprache zum 100 Jährigen Jubiläum der Kaiser-Wilhelm-bzw. Max-Planck-Gesellschaft u.a. gesagt:

„Viele Bischöfe, Priester und auch Päpste, viel Mullahs und Ajatollahs haben Vorstellungen von Freund/Feind-Konstellationen propagiert. Hier liegt seit Generationen ein schweres Versäumnis  der Kirchen und Glaubensgemeinschaften  vor, aber ebenso ein schweres Versäumnis der Geisteswissenschaften und der Universitäten insgesamt...Jedenfalls benötigt die zusammenwachsende Menschheit weniger innerchristliche Kontrovers-Theologie als vielmehr eine Erforschung der religiösen, der philosophischen und der ethisch-moralischen Gemeinsamkeiten. (Helmut Schmidt, Forschung heißt...Festansprache zur Jubiläum der Kaiser-Wilhelm-bzw. Max-Planck-Gesellschaft, Die ZEIT 3/2011 13.1.2011 S.30f.)

Der französche Philosoph Jean-François Lyotard beschreibt das Projekt Moderne - Humanismus, Aufklärung, vernunftgesteuerter Fortschritt - als gescheitert.

Die "großen Erzählungen" müssen aufgegeben werden. An ihre Stelle tritt eine Vielfalt von Diskursen, die Lyotard im Anschluss an Wittgenstein als isolierte "Sprachspiele" bezeichnet. An einem Sprachspiel im umfassenden Sinne teilhaben und dieses verstehen, heißt an einer Lebensform teilzuhaben. Es gibt viele Welten und nach Lyotard ist das wechselseitige Verstehen zwischen stark unterschiedlichen Sprachspielen kaum möglich und also Kritik oder ein Streit um die eine, für alle verbindliche und verpflichtende Wahrheit schwierig bis unmöglich. Man muss die Koexistenz unübersetzbarer Diskurse anerkennen.

7. Interkulturelle Theologie

Walter Hollenweger sagt zu Recht:

Heutige Theologie muss per definitionem interkulturell sein ...Interkulturelle Theologie ist nicht ein Theologie, die sämtliche Sprachen und Kulturen vermischt...Auf keinen Fall jedoch kann ich meinen eigenen kulturellen Hintergrund für universal erklären....

Interkulturelle Theologie ist diejenige wissenschaftliche, theologische Disziplin, die im Rahmen einer gegebenen Kultur operiert, ohne diese zu verabsolutieren. In diesem Sinne tut sie nur, was jede anständige Theologie auch tut. Mit anderen Worten, sie widerspiegelt, reflektiert theologisch den sakramentalen Leib Christi. Wenn Theologie nicht lediglich eine Selbstrechfertigung der eigenen kulturellen Vorurteile ist ..., dann muss sie versuchen, dieser universalen und sakramentalen Dimension des christlichen Glaubens gegenüber offen zu sein. (Walter J. Hollenweger Erfahrungen der Leibhaftigkeit, Interkulturelle Theologie , München1979 S.51)

F.W. Graf spricht von Funktionsgöttern (Hermann Usener 1896):

Viele moderne Götter agieren als Spezialgötter bestimmter sozialer Gruppen, die ihre spezifischen Sicherheitsbedürfnisse und Identitätswünsche auf ihren starken Gott projizieren. Gerade Minderheiten imaginieren sich ihre je eigenen Schutz- und Emanzipationsgötter, und die diversen Göttinnen des Feminismus sind für starke Frauen gerade darin attraktiv, dass sie göttlich unbedingtes Recht dem eigenen Geschlecht zukommen lassen. Viele der neuen Götter fungieren als Uncertainty-Manager, die angesichts wachsender Kontingenz eine umfassende Risikovorsorge für das Leben insgesamt leisten; sie erzeugen jene tragende Gewissheit, die sich in der Bindung an bloß endliche Evidenzmächte nicht erschließen lässt.

... Moderne Religionsfreiheit lässt sich nicht nur als „administrativer Artenschutz“ (Jürgen Habermas) für Gottesglauben jeder nur denkbaren Couleur deuten, er entfaltet nicht nur eine Art Theotopschutzfunktion, sondern er wirkt zugleich als ein Verschiedenheitsgenerator. Der eigene Gott wird von unterschiedlichen Akteuren auf je eigene Weise ausgelegt und vergegenwärtigt, genau das lässt sich kurz verdeutlichen an einer Entwicklung im modernen theologischen Diskurs, für den ich den Begriff „Milieu-Theologien“ vorschlage. Als Beispiel mag der Gottesideen-Markt in den USA dienen.)

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs lässt sich hier eine Hochkonjunktur von importierten Genetiv-Theologien beobachten: Theologie der Hoffnung, Theologie der Revolution, Theologie der Befreiung usf. Zugleich ist der Theologie-Betrieb in den USA durch die erfolgreiche Vermarktung von gruppenbezogenen theologischen Entwürfen geprägt: feministische Theologie, schwarze Theologie, native american theology, Schwulen-Theologie (queer theology) usw.“

Eine Fülle von partiellen Gottesbildern und eine Fülle von „Sprachspielen“ bestimmt die geistigen Landschaften einer globalisierten Welt: innerchristlich im bunten Patchwork (Flickwerk) der oekumenischen Christenheit und darüberhinaus im religiösen und kulturellen Kontext der Zeit. 

Die Frage ist ob Lyotard Recht hat, wenn er davon ausgeht, dass zwischen den unterschiedlichen Lebens-Denk-Fühl-Glaubenswelten keine oder doch kaum eine Verstehbarkeit und Kommunikation entwickelt werden kann.

 

(M)eine Theologie der offenen Kirche ist dialogisch. Sie hält den immer neuen Versuch zu kommunizieren, zu interpretieren für notwendig und für möglich.

Wir müssen Sprachen lernen: Sprachspiele. Wir müssen üben, unser Leben ändern (Sloeterdijk). Wir müssen verstehen lernen! Immerhin kann schon Paulus (1.Kor.9) sagen:

Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden - obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin -, damit ich die, die unter dem Gesetz sind, gewinne. [21] Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer ohne Gesetz geworden - obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin in dem Gesetz Christi -, damit ich die, die ohne Gesetz sind, gewinne. [22] Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette. [23] Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben.

 

Werner Simpfendörfer, Impulsgeber und einer der Gründungsväter der Offenen Kirche Württemberg, schreibt:

eine „kritische Kirche (würde) der Kirche für andere vor allem dann dienen, wenn es ihr gelänge, den Dialog mit Menschen und Mächten aufzunehmen, von deren Relevanz sich die Kirche bis zur Stunde nichts träumen ließ. Lebt doch eine Kirche für andere primär aus dem Dialog mit allen, aus einem wahrhaft ökumenischen Dialog.

Das setzt freilich eine Kirche voraus, deren Glieder alternativbewußt und alternativfähig sind – Christen, die im Umgang mit vielen Lebensstilen vertraut, im Umgang mit vielen Sprachen geschult, zum Umgang mit vielen Weisen des Glaubens bereit und fähig sind. Damit ist von den Christen die Ausbildung eines kritischen Bewusstseins und eines kritischen Verhaltens gefordert, das es sich verboten sein lässt, die eigenen Denkgewohnheiten, die eigenen Moralmaximen, die eigenen politischen Vorstellungen zur Voraussetzung eines Dialogs zu machen, sie anderen aufzunötigen, sie gar als die christlichen Vorstellungen zu exportieren, wie wir das mit bestürzender Selbstverständlichkeit immer noch tun.

(Werner Simpfendörfer, Offene Kirche-kritische Kirche, Stuttgart 1969, S.37)

8. Befreite, umkehrbereite Ergriffenheit

Dorothee Sölle schreibt 1968:

Atheist sei jemand, der  „eine Gottesvorstellung nicht brauche, um die Welt zu erklären, sich eines Lebens nach dem Tode zu versichern oder sich hier glücklicher zu fühlen“. Und „wer „Gott“ sagt, muss zeigen können, was dieses Wort über Menschen und ihrer Verhältnisse aussagt, was durch es in einem bestimmten Zusammenhang ausgedrückt werden soll.“

(Dorothee Sölle, Atheistisch an Gott glauben, Olten 1968, S. 78)

In diesem Sinn könnte (müsste?) (m)eine Theologie der offenen Kirche a-theistisch genannt werden. Sie ist nicht gefangen in einem weltanschaulichen (theistischen) Welterklärungs-konzept. Sie lässt Richard Dawkins ins Leere laufen, der mit seinen  Büchern öffentlichkeits-wirksam darlegt wie der Darwinismus den traditionellen Schöpfergott abgeschafft hat als den, der bis ins 18./19.Jahrhundert als Lückenbüßer für die Welterklärung gebraucht wurde und den die Kreationisten und Anhänger des intelligent design bis heute verteidigen.

 

(M)eine Theologie der offenen Kirche ist und bleibt kritisch und selbstkritisch.

Sie ist und bleibt protestantischer Protest gegen alle Versuche der Vereinnahmung und Instrumentalisierung des Ewigen, Unverfügbaren, Transzendenten, des Lebens, der Gnade.

Sie versucht der alles übersteigenden Wirklichkeit Raum zu lassen und zu eröffnen, denn „du stellst meine Füße auf weiten Raum“. (Ps.31,9)

Sie sagt „Gott“ und bringt damit den alles übersteigenden Horizont ins Spiel.

Sie nimmt „Gott“ in Anspruch und fragt zugleich ständig, was das heißt, hier, jetzt

·      im Konflikt um Stuttgart 21 und die verantwortliche Nutzung von Ressourcen,

·      in der Frage einer lebenswerten Zukunft für unsere Nachkommen

·      in den bedrängenden Problemen des Hungers

·      der weltweiten Gerechtigkeit

·      des Friedens

·      der Bewahrung der Lebensgrundlagen für Bäume, Tiere, Menschen!
(s.Neujahrsrede-Hein)

Wenn sie Gott meint und – zögernd, leise, unvermeidlich - von Gott spricht, dann nicht vom Gott „der Philosophen und Gelehrten!“

(Mémorial von Blaise Pascal 1654 ...Der ganz und gar Ergriffene spricht vom Feuer –

"Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs", nicht der Philosophen und Gelehrten.

Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede....“)

9. Ermutigung

(M)eine Theologie der offenen Kirche ist offen für jene Umkehrung“, die nach Bonhoeffer der Kraft des Wortes Gottes, der »Begegnung mit Jesus Christus zuzutrauen ist: Den eigenen Weg suchen und gehen und zugleich auf vielfältige Weise die sichtbare und unsichtbare Gemeinschaft derer finden, die mit uns unterwegs sind in und außerhalb der verfassten (kirchlichen) Institutionen.

Viele Jahre nach „Atheistisch an Gott glauben“ bezieht sich Dorothee Sölle in einem Text auf eine bei Martin Buber überlieferte jüdische Geschichte.

„Rabbi Bunam nämlich sagte zu seinen Schülern: jeder von euch muss zwei Taschen in seiner Jacke haben, um bei Bedarf in die eine oder in die andere greifen zu können. In der einen Tasche liegt ein Zettel, auf dem steht: <<Das Universum ist um deinetwillen geschaffen>>. Auf dem Zettel in der anderen Tasche steht: <<Du bist Staub und Asche>>.  Wunderbar! ich denke, dass die Leute in unserer Religion mehr den Aschen-Zettel in der Hand haben. Es fehlt diese wirkliche Selbstgewissheit, dieser hohe Mut, wie Meister Eckhart das nannte.<<Gott könnte nicht ohne mich sein>>: Solch ein In-Gott-Sein bewirkt eine ungeheure Würde und Kraft.“             (Dorothee Sölle, Den Rhythmus des Lebens spüren, Freiburg 2001, S. 32)

 

Mangelnde Reife, infantile Prozesse, Sorge um Identitätsverlust, vielfältige Ängste halten Menschen abhängig in Unmündigkeit und lassen die partiellen Gottesbilder mächtig werden.

Aber: In der Bergpredigt beschreibt Jesus eine Welt, in der die Leute, die vor ihm stehen, die Armen, die Trauernden, die Hungernden, die unter Gewalt leiden eine Lebenschance haben. Selig seid ihr...Da wird der knechtende, Angst erzeugende, Abhängigkeit produzierende Gott, der die Köpfe der Menschen besetzt hält, vertrieben. Deshalb ist der Griff nach dem „Universums-Zettel“ wichtig.

Glauben heißt für mich in Jesus den „Anfänger und Vollender des Glaubens“ (Hebr. 12,2) erkennen, den Prototypen, das Modell, den neuen Adam, den Menschen, der nach einer Formulierung Johann Gottfried Herders der „erste Freigelassene der Schöpfung“ ist.

Allerdings, schreibt die FAZ, behauptet der Gießener Biophilosoph und Soziobiologe Eckart Voland: Herder hatte eben nicht recht, als dieser den Menschen als „ersten Freigelassenen der Schöpfung“ und damit von aller natürlicher Determination befreit sah. Das soziale Tier im Menschen zu entdecken, gehöre zu den spannendsten Entdeckungen der jüngeren Wissenschaftsgeschichte. Der Mensch sei das durch die Evolutionsgeschichte determinierte Wesen.

Da spricht ja vieles dafür, aber

(m)eine Theologie der offenen Kirche widerspricht insofern als sie in Jesu Leben und Sterben eine Freiheit erkennt, die solche Fixierung und Determinierung pars pro toto (einer für alle, ein für allemal) überwunden hat. Von daher hält es mein Glaube für menschen-möglich (allen Menschen prinzipiell möglich) in der Nachfolge des Nazareners Freiheit zu gewinnen und in immer neuen Anläufen verantwortlich zu leben! Die Kirchengeschichte ist in manchen Teilen ein Zeugnis für diese evangelische Freiheit.

 

10. Das Wagnis des Menschen im Offenen der Freiheit

Paul Schütz:

Die Christenheit ist der Welt die Hoffnung schuldig geblieben. Ist Gott Mensch geworden, damit sich einige Sünder mit ihm versöhnt wissen? Dazu ist das Unternehmen zu groß. Ist er wirklich Mensch geworden, dann ist etwas im Sein passiert (Kol.2,9f). (In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig und an dieser Fülle habt ihr teil....).

Paul Schütz, Freiheit, Hoffnung, Prophetie, Sonderausgabe von Gesammelte Werte Band III Furche-Verlag 1974, S. 630)

Wenn das Evangelium nichts anderes ist als die Botschaft vom gnädigen Gott, der dem Sünder vergibt, so verschließt es den Christen in seiner Vergangenheit. Sünde ist etwas Getanes, Geschehenes. ...Der Christ dreht sich im Vergangenheitskreis einer Art ewiger Wiederkehr der Vergebung. Die Erlassung ist nicht Losbindung geworden für die Zukunft, in die Welt und zum Menschen hin. Daher die Schwermut, die über dem <<Abendmahl der Sündenvergebung>> liegt . Schwermut und Vergangenheit hängt zusammen. Eucharistie heißt Jubelgebet. Im Abendmahl der Eucharistie trinkt und isst der Christ den <<Vorschmack der künftigen Welt>>. Christus blickt in seinem Abendmahl nicht zurück auf die <<Sünden der Welt>>, er blickt voraus auf das <<Neu-Trinken im Gottesreich>>(Mk.14,25)(a.a.O. 634) 

 

Zum Schluss noch einmal Dorothee Sölle:

Wenn noch für das 19. Jahrhundert der Schmerz "der Felsen des Atheismus" ist * (Georg Büchner, Dantons Tod: "Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz ... Warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes, und rege es sich in einem Atom, macht einen Riß in der Schöpfung von oben bis unten.") ist, so gilt in diesem Jahrhundert, dass nichts uns so sehr auf Gott hinweist wie seine Niederlagen in der Welt. Dass Gott in der Welt beleidigt und gefoltert, verbrannt und vergast wurde und wird, das ist der Fels des christlichen Glaubens, dessen Hoffnung darauf geht, dass Gott zu seiner Identität komme. Dieser Schmerz ist unauslöschlich, und diese Hoffnung kann nicht vergessen werden. Was den Christen gemeinsam ist, ist "das Teilhaben am Leiden Gottes in Christus. Das ist ihr Glaube." (Bonhoeffer) Darin wissen sie, dass Gott ohnmächtig ist und Hilfe braucht. Als die Zeit erfüllt war, hatte Gott lange genug etwas für uns getan. Er setzte sich selber aufs Spiel, machte sich abhängig von uns und identifizierte sich mit den Nichtidentischen. Es ist nunmehr an der Zeit, etwas für Gott zu tun. (a.a.O. S.101)

 

Das ist die Herausforderung

für eine „offene“ Kirche, die keine „andere“ Kirche ist

und kein „anderes Evangelium“ hat, sondern „Kirche Jesu Christi“ ist,

geboren aus dem „Evangelium“, dessen Kernsatz heißt:

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! (Gal.5,1).

Als “seine Kirche” ist die „offene Kirche“ „Kirche für andere“,

die „der Welt (und Gott!) dient bis zuletzt!“                                                

 

Eberhard Braun 17.1.2011

 

 


Zitate, weitere Texte

Wir werden nur wissen, was wir tun!

Wir werden nur haben, was wir teilen!

Wir werden nur lernen, was wir leiden!

(Werner Simpfendörfer)

 

Wenn sich Kinder vor der Dunkelheit fürchten, so ist das verständlich. Wenn aber Erwachsene Angst davor haben, dass gewisse Dinge ans Licht kommen, dann ist das eine Tragödie.

(Platon 427 - 347 v.Chr.):

 

Ich war ein guter Christ, geboren und genährt am Busen der unfehlbaren Presbyterianischen Kirche. Wie konnte ich mich da diesem wilden Götzendiener anschließen, wenn er sein Stück Holz anbetete? Was aber ist Gottesdienst? Dachte ich bei mir. Glaubst du denn, Ismael, dass der großmütige Gott des Himmels und der Erden (was Heiden und alles andere einschließt) tatsächlich auf ein unbedeutendes, schwarzes Stückchen Holz eifersüchtig sein könnte? Unmöglich! Was aber ist Gottesdienst? Den Willen Gottes zu erfüllen – das ist Gottesdienst. Und was ist Gottes Wille? Meinem Mitmenschen das zu tun, was ich will, dass er mir tut. Nun, Queequeg ist mein Mitmensch. Und was will ich, dass dieser Queequeg mir tut? Nun, dass er sich mir bei meiner ganz eigenen presbyterianischen Form des Gottesdienstes anschließt. Folglich muß ich mich dann bei der seinen anschließen. Ergo, ich muß zum Götzendiener werden. Also zündete ich Späne an, half den unschuldigen kleinen Götzen aufstellen, brachte ihm gemeinsam mit Queequeg gerösteten Schiffszwieback dar, warf mich muselmanisch ein paarmal vor ihm zu Boden und küsste seine Nase. Als dies getan, entkleideten wir uns und gingen zu Bett, im Frieden mit dem eigenen Gewissen und mit der ganzen Welt.

 (Hermann Melville, Moby Dick, neu übersetzt von Matthias Jendis, btb 2003, S. 107f)

 

Auszüge aus Christoph Hein, Worauf ich hoffe Neujahrsrede

....Über dem Eingang der großen Paläste und Bürgerhäuser findet sich häufig ein Sinnspruch. Über den Eingangstüren unserer Häuschen aber steht unsichtbar auch ein kurzer Glaubenssatz, und es ist überall der gleiche: Nach mir die Sintflut.

....Nach mir die Sintflut, heißt unser Glaubenssatz, und wie es scheint, kommt diese nun auch. Seit einigen Jahren schmelzen die Polkappen, wird die Eiswüste zu Wasser, lösen sich Gletscher auf. Polarer Meeresboden ist nicht mehr durch ein jahrtausendealtes Eis verborgen, sondern erreichbar. Die Wissenschaft macht Zeitangaben, allerdings könnte sich der Wandel auch erheblich beschleunigen, sich wie eine rollende Lawine in seiner alles vernichtenden Energie potenzieren....

Als wir die fürchterlichen Prognosen der Wissenschaftler zum ersten Mal hörten, waren wir fast erschrocken. Für einen Moment sagten wir uns, diese Katastrophe müssen wir aufhalten. Doch am Tag danach kam die für uns viel entsetzlichere Meldung, dass unser Geld plötzlich weniger wert war als noch am Tag zuvor, dass unsere Immobilien unverkäuflich sind und unsere Wertpapiere ins Bodenlose fallen. Da war die drohende Vernichtung unserer Erde vergessen.

Fast vergessen, um genau zu sein, denn es gab eine spektakuläre Aktion. Ein einziges Land reagierte auf das schmelzende Eis. Dieses Land, an den Nordpol grenzend, schickte ein U-Boot aus, um auf dem vom Eis befreiten Meeresboden eine metallene Fahne mit den Landesfarben aufzustellen und damit den Anspruch auf Bodenschätze anzumelden. Seitdem weiß ich, was die Menschheit tun wird, falls diese Welt untergeht. Sie wird im Moment des Untergangs die Senderechte für das Ereignis meistbietend verkaufen, um sterbend einen letzten glücklichen Moment zu erleben.

Offenbar, um mit Arno Schmidt zu sprechen, offenbar ist die halbe Menschheit irre und die andere nicht ganz bei Groschen. ....

Die christlichen Kirchen benennen sieben Hauptsünden, die den geistigen Tod und die Verdammnis zur Folge haben. Diese Todsünden sind Hochmut und Geiz, Wollust und Neid, Völlerei, Zorn und die Trägheit des Herzens. Diese Todsünden gefährden das Individuum, aber die schlimmste Sünde, die nicht allein für das Individuum, sondern für die ganze Menschheit Tod und Verdammnis bringt, das ist die Habgier. Unsere Gier.

Das ist das eigentliche Erbe, das wir Ihnen hinterlassen. Sie erhoffen sich vielleicht ein kleines Bankkonto, ein Haus, etwas Bargeld, das Ihnen bei Testamentseröffnung präsentiert wird. Gewiss, darum kümmern wir uns auch. Sie werden dann das Erbe sorgfältig prüfen – und falls die daran geknüpften Bedingungen für Sie unannehmbar sind, schlagen Sie es mithilfe eines Anwalts aus. Aber auch nicht mit der Hilfe aller Anwälte der ganzen Welt wird es Ihnen gelingen, den anderen Teil der Erbschaft auszuschlagen. Dieses Erbe können Sie nicht zurückweisen: eine tödlich bedrohte Welt.

Wir, die Älteren, meine Generation, sollten uns bei Ihnen, den Jungen, für das Erbe, das wir Ihnen hinterlassen, entschuldigen. Wir haben Gesellschaften eingerichtet, die mit der Welt umgehen, als ob alles unendlich sei. Aber alles ist endlich. Und nun ist die finale Katastrophe in greifbare Nähe gerückt. Und zu dem Erbe, das Sie auf Gedeih und Verderb anzutreten haben, gehört auch, dass Sie etwas tun müssen. Etwas Grundsätzliches. Sie müssen etwas tun, was wir nie geschafft haben: Sie müssen zur Vernunft kommen.....

Gott, so erzählt uns die Bibel, habe, ergrimmt über den unbelehrbaren Menschen, eine Sintflut geschickt, um die menschliche Rasse von der Erde zu tilgen. Er habe diese mörderische Flut später bereut und den einzigen Überlebenden, Noah und seine Familie, versprochen, dass er nie wieder die Erde in einer Sintflut untergehen lassen werde. Aber vielleicht versprach er es nur, weil er, der Allwissende, wusste, dass der Mensch die nächste Sintflut selber erzeugen wird....

Vielleicht wird er hohnlachend zuschauen, wenn unsere Städte in den von uns verursachten Fluten versinken. Wenn Shakespeares Werke und Michelangelos Statuen für alle Ewigkeit ersaufen. Dann werden die großen Meere zusammenfließen und die Erde bedecken als ein einziges Weltmeer. Und die Wasseroberfläche wird bedeckt sein mit dem, wofür die Menschheit sich aufopferte: Unzählbar schwimmen Geldscheine auf dem Wasser, das gesamte Finanzvermögen der Welt, das im Augenblick 148 Billionen Dollar beträgt und für das man dann nicht einmal mehr eine Schale Reis bekommt....

Wenn Sie den Mut haben, uns nicht zu folgen, dann werden Sie auch die Kraft dafür finden. Ich wünsche Ihnen Glück. Machen Sie es besser als wir, bitte.   

* Quelle: DIE ZEIT, 30.12.2010 Nr. 01     * Adresse: http://www.zeit.de/2011/01/Neujahrsrede-Hein

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Dazu:: Brief an H.H.                                                                              19. Januar 2011

 

Lieber Helmut,

im Nachgang zu gestern Abend will ich noch ein paar Anmerkungen machen zur Gottesfrage und zum Problem der Akzeptanz einer Position, wie sie von mir vorgetragen wurde:

 

Das Glaubensbekenntnis, das die Christen verbindet, sagt:

Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.

Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige katholische bzw.christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Amen.

In diesem alten Text steht immer schon manches in Frage und ist offenkundig interpretations-bedürftig: empfangen durch den heiligen Geist? geboren von der Jungfrau Maria? Hinabgestiegen? Auferstehung? Trotzdem haben wir normalerweise keine Probleme, das mit anderen zu sprechen.

Und nun kommt also die Schöpfer-, Allmacht-Frage dazu!

Das haben wir uns aber nicht ausgesucht.

Der Herausforderung durch die modernen Naturwissenschaft können wir uns nicht entziehen.

Drewermann:

„Die moderne Evolutionstheorie verlangt im Grunde ein vollkommenes Umdenken der Theologie. All die „Gottesbeweise“, die von der Natur her Gott als oberste Ursache zu erweisen suchten, basieren erkennbar auf falschen Voraussetzungen. Nicht die Natur zu erklären, einzig das Rätselwesen Mensch zu begründen, bildet die Aufgabe und den möglichen Grund der Religion. An Gott zu glauben bedeutet als erstes eine Welt zu entwerfen, in der Angst überwindbar wird durch Vertrauen, in der die Person eines Einzelnen einen unvertauschbaren Wert in sich selber erhält und in der Schwächen nicht optimal ausgenutzt, sondern durch Hilfe und Beistand beantwortet werden. Und nun das Entscheidende: Erst wer von einer solchen Welt religiös fundierter Menschlichkeit ausgeht, wird die Welt der Natur als „Schöpfung“ eines persönlichen Gottes interpretieren können. Die Beziehung zwischen dem, was da Gott heißt, und der Welt, wie wir sie heute kennenlernen, läßt sich weder von einem fertigen Gottesbegriff noch von der Erfahrung her formulieren, sie bleibt im Dunkel. Doch verbleibt, was kein Geringerer als Augustinus als amare in Deo bezeichnete: Es ist möglich, sogar diese Welt zu lieben von Gott her. Nur das Umgekehrte scheint nicht länger mehr möglich: einen liebenden Gott als Ursprung einer darwinistisch gedeuteten Welt zu erkennen.“

Die hier gegebene Antwort erscheint vielleicht zunächst unbefriedigend.

Das kann daran liegen, dass wir in dieser Frage erst am Anfang des Nachdenkens sind.

Da geht es uns wie den Menschen des Mittelalters, die sich überhaupt nicht vorstellen konnten, dass die Erde nicht der Mittelpunkt der Schöpfung, des Weltalls ist, um die sich alles dreht. Das hat sie in Ängste gestürzt. So geht’s mir mit der nun immer deutlicher werdenden Erkenntnis, die Eugen Drewermann so zusammenfaßt:

„daß die entscheidende Alternative des theologischen Denkens im Abendland für falsch gelten muss: Zufall oder Planung, Materie oder Geist, blinde Kausalität oder göttliche Vorsehung ... Der Gedanke der Evolution bietet eine Synthese zwischen diesen Gegensätzen, er bedeutet das Ende sowohl des mechanistischen wie des vitalistischen oder kreatianistischen (schöpfungstheologischen) Denkens. Ein entscheidender Durchbruch in der Physik und der Biochemie der letzten Jahrzehnte besteht in der Einsicht, daß das Darwinsche Erklärungskonzept von Mutation und Selektion, von ungerichteten Zufallsschwankungen und der Auswahl des Tauglichsten, sich bereits auf die Geschehnisse in der unbelebten Welt anwenden läßt: Immer wieder führen synergetische Prozesse dazu, bei hohem Energiedurchfluß Systeme von Ordnung fernab vom thermodynamischen Gleichgewicht zu bilden. Dissipative Strukturen, autokatalytische Zyklen, Boolsche Netzwerke – mit solchen Begriffen der Physik, der Biologie und der Mathematik gelingt es heute, Formen eines nichtlinearen Denkens auszubilden, in denen die Entstehung des Lebens unter geeigneten Voraussetzungen sich nicht länger als ein unbegreifbares „Wunder“, sondern als ein überaus wahrscheinliches Geschehen darstellt. Weder der reine Zufall noch irgendeine Planung helfen zur Erklärung, einzig ein angemessenes Verständnis dessen, was Evolution ist, hat uns die Augen für die Wirklichkeit geöffnet, der wir selber entstammen. Wohl sind wir noch immer nicht in der Lage, die Einzelschritte der Entstehung des Lebens vollständig und plausibel nachzuzeichnen, doch dürfte unsere derzeitige Kenntnis der Naturgesetze ausreichen, um sämtliche noch bestehende Teilprobleme passend in das sich abzeichnende Gesamtbild der Entwicklung des Lebens einzufügen.“

 

Und nun ist es für mich ist es so, wie Du es gestern Abend auch angesprochen hast, z.B. mit dem, was Du über Bischof Tutu gesagt hast. Es gibt Erfahrungen von Liebe, von Gemeinschaft, von Leben, von Engagement, von Erleuchtung, die nicht machbar, nicht unmittelbar erklärbar sind.

Ich sitze zusammen mit fremden Menschen und es geschieht es was, wir haben ganz andere Hintergründe und doch „verstehen“ wir uns und zwischen uns ist plötzlich ein Geheimnis, ein Drittes das uns berührt. In religiöser Sprache sprechen wir dann von der Gegenwart Gottes, vom Wehen des heiligen Geistes.

Solche Berührungserfahrungen verändern mich. In dieser (mystischen) Erfahrung des Geheimnisses, geschieht jene „Umkehrung“ von der Bonhoeffer spricht. Da verändert sich mein Blick auf die Welt und den Menschen. Ich spüre, ich erfahre, da ist mehr, ein Anderes, Tieferes, Jenseitiges, das mich „unbedingt angeht“! Das ist u.a. Paul Tillichs Name  für Gott: „das, was uns unbedingt angeht“. (s. den guten Meilenstein von Wolfgang Wagner über Tillich auf der OK-Seite).

Dorothee Sölle hat dann immer gesagt: Es muss doch mehr als alles geben!

 

In dieser Glaubenserfahrung weiß ich: Mein Leben hat einen Sinn, ich bin nicht von ungefähr, sondern von Gott geschaffen und berufen. Das ist eine existentielle Erfahrung und eine existentielle Aussage. Es ist religiöse Erfahrung, aber deshalb nicht weniger wirklich als andere Erfahrungen!

 

Allerdings kann und will ich mit dieser Erfahrung nicht in den naturwissenschaftlichen Streit treten, ob es denn möglich sei, dass die Komplexität des Seienden ohne einen Architekten, Designer, Baumeister, Konstrukteur, Töpfer entstanden sein kann.

Wenn die Forscher sagen: Es kann sein, es ist wahrscheinlich, dann ist das möglicherweise und wahrscheinlich so. Da muss ich als Theologe nicht rumstreiten.

 

Drewermann: „Die Natur mag erklärbar sein durch ein Zusammenspiel von Zufall und Notwendigkeit; doch alle Naturwissenschaften können stets nur bis zur Erklärung hin erklären. Mit dem wachsenden Spielraum der Freiheit ist etwas Neues entstanden, das, um Freiheit zu sein, in seinen Entscheidungen unerklärbar sein muß. Mit der Entdeckung der Freiheit verknüpft ist deshalb, wie Sören Kierkegaard wußte, der subjektive Reflex einer Angst, die sich im Raum der Natur niemals mehr beruhigen wird. Deshalb, nicht um unsere Überlegenheit gegenüber der Natur ideologisch weiter zu rechtfertigen, sondern um ein haltgebendes Gegenüber für die Haltlosigkeit unserer Existenz zu finden, stellen wir uns religiös eine absolute Freiheit vor, die den Weg unseres Lebens wie ein „Hirte“ begleitet und leitet, ohne uns unsere Verantwortung zu nehmen.“

 

Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.

heißt deshalb für mich:

Ich glaube, dass jenseits einer naturwissenschaftlich erklärten Welt mit ihren Prozessen und Grausamkeiten eine tiefere Wirklichkeit ist, eine in allem wirksame und bestimmende Energie, die uns zu tragen vermag, die uns hilft  - nicht die Natur zu erklären  - sondern als Menschen der Natur und der Geschichte, dem Leben, dem oft ungeheuren Schicksal, standzuhalten: Gott, Vater, Schöpfer.

 

Was die Allmacht Gottes betrifft, weiß ich nicht, wie es Dir geht.

Ich habe da immer schon Probleme und nicht nur ich:

 

Das zentrale Problem formuliert Epikur (gest. 270 v. Chr.)

Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht,

oder er kann es und will es nicht,

oder er will es nicht und kann es auch nicht,

oder er will es und kann es.

Wenn er es will und nicht kann, so ist er schwach, was zu Gott nicht passt.

Wenn er kann und nicht will, ist er neidisch, was ebenfalls Gott fremd ist.

Wenn er weder will noch kann, ist er sowohl neidisch wie auch schwach und deshalb auch kein Gott.

Wenn er aber will und kann, was allein Gott angemessen ist, woher stammen dann die Übel? Oder warum beseitigt er sie nicht? (zit. nach Narvid Kermani, Der Schrecken Gottes, Attar, Hiob und die metaphysische Revolte, dtv2008, S. 109)

 

Narvid Kermani sagt dann: „So gut wie alle denkbaren Alternativen, um die Ungerechtigkeit der Welt religiös zu deuten, lassen sich ihrer Struktur nach in den drei monotheistischen Religionen finden.

Kermani überschreibt sie:

Der unergründliche Gott (Hiob 40, 5 Ich will meine Hand auf meinen Mund legen. Röm 9,20 f: wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst). Nach Immanuel Kant müssen alle philosophischen Versuche der Theodizee (der Rechtfertigung Gottes) misslingen – weil überhaupt alle Aussagen über Gott misslingen müssen. (Kritik der reinen Vernunft)

 

Relativierung der göttlichen Allmacht

Sunnitische Orthodoxie und katholisch: Gott hat alle Macht und der Mensch alle Schuld. Der Mensch erwirbt die bereits vorherbestimmten Handlungen von Gott in einem Akt der Eigenverantwortung. Thomas von Aquin unterscheidet zwischen Bewirkung und bloßer Zulassung des Übels durch Gott.

 

Gott selbst leidet

Gott leidet unter der Geschichte: rabbinische Überlieferung, Hans Urs von Banthasar und Walter Kasper (kath.), Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer, Eberhard Jüngel, Jürgen Moltmann (ev.).

Aber Karl Rahner: „Um – einmal primitiv gesprochen – aus meinem Dreck und Schlamassel und meiner Verzweiflung herauszukommen, nützt es mir doch nichts, wenn es Gott – um es einmal grob zu sagen – genauso dreckig geht.“ (alle Zitate nach Kermani)

 

Dualismus

Zarathustra, Mani: ein zweites Element Ahriman oder die Finsternis begrenzt die Macht Gottes.

 

Der Schrecken Gottes

Gott kann, aber er will nicht. Es interessiert ihn nicht, er macht sich vielleicht gar einen Spaß daraus, die Menschen zu quälen (Attar, Buch der Leiden)

Da freilich wird dann nicht von einem Gott der Güte ausgegangen.

 

Also: mit der Allmacht ist es sehr schwierig. Ich neige dem „Gott-leidet-Modell“ zu gepaart mit „dem „unergründlichen Gott“, in der Wahrnehmung des Glaubens: die Kraft, die Energie Gottes ist in allem wirksam, alles durchdringend, nicht unterzukriegen oder zu beseitigen. Sie ist am Ende alles in allem.

Aber nicht programmierend und steuernd, sondern verborgen, geheimnisvoll und nur in mystischer Glaubenserfahrung, im Mit-Leiden zu erspüren und zu erfahren.

 

Zurück zur Gottes-Frage:

Insgesamt ist klar: Wir tun uns in unserer Tradition ungeheuer schwer mit Wissen und Glauben. Wir vermischen ständig die wissenschaftliche und die religiöse Ebene. Vermutlich weil wir eben „objektiv“ wissen und nicht nur glauben, vertrauen wollen!

Und nun ist es ja so, dass ein großer Teil unserer Zeitgenossen längst stillschweigend atheistisch denkt und aus dem Gedankengebäude, das die Kirche mühsam verteidigt, ausgezogen ist. Menschen spüren, dass die Kirche jahrhundertelang immer zu spät dran war und den Fortschritt des Wissens über die Welt im Namen Gottes und der Bibel bekämpft hat. Und sie lassen sich immer weniger darauf ein – oder sie werden dann fundamentalistisch und ziehen sich auf – wissenschaftlich nicht kompatible – Positionen zurück.

Das ist ein Dilemma für die Theologie der offenen Kirche. Denn sie stellt sich der Herausforderung, die Welterklärung auf der Höhe der Zeit wahrzunehmen und gleichzeitig den Glauben festzuhalten und zu begründen.

 

Die Lösung? Ich suche sie in dieser Richtung:

"Rationalität und Mystik, das sind die Pole unserer Zeit" schrieb Robert Musil in seinem Roman "Der Mann ohne Eigenschaften". Der große Theologe Karl Rahner meinte: "Die Zukunft des Christentums wird mystisch oder nicht sein". Dorothee Sölle schreibt am Ende ihres Lebens zwei wichtige Bücher: „Mystik und Widerstand“ und die „Mystik des Todes“ und Jörg Zink gibt seinem Buch „Dornen können Rosen tragen“ den Untertitel: Mystik - die Zukunft des Christentums.

 

Dieser Spur würde ich gerne folgen und ich glaube dort finden sich auch die Ansätze, die über die Inseln der verschiedenen getrennten Sprachspiele hinausführen können und uns mit vielen ehrlich und elementar frommen, mit pietistisch geprägten und glaubenden oder aus anderen kulturellen Hintergründen kommenden Menschen verbindet. Mit Menschen, die empfänglich und empfindsam sind für die Leiden der Menschen und Kreaturen, die Leiden Gottes in dieser Welt und sich berühren lassen und sich aufmachen um – gemeinsam - etwas zu tun.

 

Liebe Grüße

 

Dein Eberhard


 

 

Wichtiger Hinweis  
  Ab sofort gibt es Texte, Bilder, Zitate auf:

http://ebebraun.tumblr.com/
 
neu dazugekommen  
  Fridolin Stier: Jesus von Nazaret vor dem Bild des Christus (anderes..)

Link: Fridolin Stier - Gedicht Genesis (guck mal)

Predigt Oferdingen 30.10.2011 (predigten)

mit Karl Napf zu Matth. 20-Arbeiter im Weinberg (s. an-ein-aussprüche)

Predigt Pfullingen 16.10.2011

aktuelle Sprüche (s. unten)












 
aktuelle Sprüche  
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Bei einer Veranstaltung für ältere Menschen in einer Schwarzwaldgemeinde waren auch die beiden Pfarrer des Dorfes anwesend. In der Pause fragte der Entertainer den katholischen Geistlichen, warum die Kirche sich moralisch fast ausschließlich auf den §218 konzentriere und zum Beispiel zur Lüge, die sich auch verheerend auswirke, nichts sage. Der Pfarrer stutzte eine Sekunde und erwiderte dann: "Gegen die Lüge kann man nichts machen, darauf beruht unser ganzes System." Napf erschrak über die Offenheit, da das Programm aber weiterging, konnte er nicht einmal fragen, welches System der Geistliche gemeint habe, das weltliche oder das religiöse oder gar beide.
Gefunden bei Karl Napf: (http://karlnapf.net/)



„Wo nicht der Mensch, sondern das zinstragende Kapital der Gegenstand ist, dessen Erhaltung und Mehrung der Sinn und das Ziel der politischen Ordnung ist, da ist der Automatismus schon im Gang, der eines Tages die Menschen zum Töten und Getötetwerden auf die Jagd schicken wird.“ (Karl Barth, Die kirchliche Dogmatik Band III/4, Zürich 1951, S. 525.)
 
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